Als Baufacharbeiter war man grundsätzlich überall dort unterwegs, wo Häuser renoviert oder neu errichtet wurden, vorzugsweise aber auf jenen Baustellen, wo im Rahmen des besonderen Wohnungsbauprogramms der DDR neue Wohngebiete aus Plattenbauten entstanden. Wohnungsmangel war in den 40 Jahren DDR-Geschichte ein Dauerthema. Angesichts der immensen Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges in vielen Städten stand die Wohnungsfrage ganz oben auf der sozialwirtschaftlichen Agenda. Bei Kriegsende 1945 waren allein in Berlin von den 1,5 Millionen Wohnungen der Vorkriegszeit nur noch 370.000 sofort wieder bewohnbar, über 500.000 Wohnungen waren total zerstört, noch einmal so viele beschädigt. Dem begegnete die DDR-Regierung ab 1973 mit einem ambitionierten Wohnungsbauprogramm. In kurzer Zeit sollten 2 Mio. Neubauwohnungen geschaffen werden. Neubau ging dabei vor Sanierung des maroden Altbaubestands, denn es war günstiger und ging vor allem schneller. Das ist auch ein Grund, warum die Innenstädte der DDR so grau und kaputt aussahen. Sie verfielen, während an den Stadträndern große Neubauviertel hochgezogen wurden. Da auch im Wohnungsbau planwirtschaftlich vorgegangen wurde, war die Anzahl der zur Verfügung stehenden Ausbildungsstellen genau festgelegt. Im Jahr 1970 waren es z. B. exakt 14270.
„Er war überzeugt, dass es zwischen ‚Platte senkrecht‘ und ‚Platte waagerecht‘ noch etwas anderes gebe.“
Über Bauingenieur Ulrich Müthers Verhältnis zum Werkstoff Beton und Fantasie am Bau
Baufacharbeiter für den Hochbau – diese Berufsbezeichnung beinhaltet die wichtigste physische Voraussetzung: Höhentauglichkeit. Absolut schwindelfrei musste man sein, um sich auf den Baugerüsten sicher bewegen und arbeiten zu können. Außerdem brauchte man eine gute körperliche Konstitution, denn der Beruf war wirklich anstrengend, auch weil – allen Jahreszeiten zum Trotz – fast immer unter freiem Himmel gearbeitet wurde. Bis Mitte der 1950er Jahre reichte ein Abschluss der achten Klasse, um sich für einen Ausbildungsplatz im Baugewerbe bewerben zu können. Mit der Umwandlung des klassischen Maurers in einen Facharbeiterberuf wurde der Zehnklassenabschluss Voraussetzung.
Die Arbeit im Dreischichtsystem war selbstverständlich und der Beruf der Gleichberechtigung wegen für beide Geschlechter vorgesehen. Aufgrund der harten körperlichen Arbeit war der Anteil der männlichen Auszubildenden jedoch deutlich höher.
Maurerlehrlinge auf einer Baustelle. Ost-Berlin 1980, DDR.
Quelle: © Roger Melis Nachlass
Das Arbeitsfeld eines Baufacharbeiters war vielfältig. Man konnte sowohl im Altbau- und Sanierungsbereich als auch im Wohnungsneubau mit vorgefertigten Plattenkonstruktionen arbeiten.
Als Maurer hatte man Wände, Ecken, Schornsteine und Decken mit den verschiedensten Sorten Ziegelsteinen zu mauern. Auch Einschalungsarbeiten und einfache Betonarbeiten gehörten dazu. War die Wand klassisch gemauert, wurde vorgekieselt, dann kam der Unterputz und zum Schluss wurde der Aufputz an die Wand geworfen. Die passenden Werkzeuge dazu waren die Schubkarre, die Maurerkelle, die Schaufel sowie Wasserwaage, Richtschnur und Lot. Arbeitsmaterialien waren z.B. Dachpappe zum Isolieren, Ziegel und Mörtel. Auf der Baustelle kamen kleinere und mittlere Baumaschinen wie bspw. der Mörtelmischer zum Einsatz. Das Berufsleben spielte sich auf Arbeitsgerüsten und vorwiegend in Altbauten ab.
Im Wohnungsneubau wurde nicht mehr klassisch gemauert, sondern die industriell hergestellten und zur Baustelle gelieferten Betonfertigteile des Typs P, P2 und WBS 70 zu sechs-, zehn- oder zwanziggeschossigen Häusern zusammengesetzt.5 Die einzelnen Elemente bestanden aus geschosshohen Wand- und Deckenplatten mit bereits im Werk eingebauten Fenstern und Türen. Diese waren dann von innen noch vorzubereiten für das Verputzen, was meistens Ausbaufacharbeiter übernahmen.
Sehr wichtig in dieser Branche waren Arbeitsschutz und Sicherheit beim Auf- und Abbau von Gerüsten, beim Einsatz von Kränen und Gewichten jeder Art.
Montage von vorgefertigten Plattenbauelementen der Wohnungsbauserie 70 (WBS 70) im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen. Die schweren und großen Fassadenelemente werden mit Hilfe eines Hochkrans bewegt. Im Vordergrund sind vorgefertigte Treppenelemente und ein Arbeiter zu erkennen.
Quelle: © DDR Museum / Siegfried Bonitz
Bis in die 1950er Jahre hinein dauerte eine Ausbildung zum Maurer drei Jahre. Im Zuge einer Umstrukturierung des Ausbildungssystems in der DDR wurde eine zweijährige Ausbildungszeit für den Grundberuf des Baufacharbeiters mit möglichen Spezialisierungen zum späteren Facharbeiter im Hochbau, im Tiefbau, für Maurerarbeiten, für Montagearbeiten oder für Stahlbetonarbeiten festgelegt. Der theoretische Unterricht fand in einer Betriebsberufsschule statt, der Praxisteil erfolgte fast immer in dem Betrieb, der die Ausgebildeten danach auf Grundlage der vorgeschriebenen Planstellen übernahm. Lehrlinge wurden unterrichtet in Materialkunde, auch Physik und Statik, erlernten die Bedienung der im Beruf nötigen Maschinen und sie hatten Sportunterricht.
Weiterbilden konnte man sich wie in fast jedem Beruf zum Meister. Auch die Berufsausbildung mit Abitur und ein anschließendes Studium waren möglich.
VEB Kombinat Werkzeugmaschinenbau „Fritz Heckert“. Arbeiter montieren eine elektronische Steuerung. Karl-Marx-Stadt 1987, DDR.
Quelle: IMAGO / Harry Härtel
Wie eingangs beschrieben, war es für den Staat wichtig, schnell günstigen Wohnraum für die Bevölkerung zu schaffen. Die ab 1973 eingeführte Wohnbauserie (WBS) 70 erlaubte die Fertigstellung vieler Wohnungen in kurzer Zeit, denn bei dieser Form der Fertigbauweise konnten zahlreiche Arbeitsschritte wetterunabhängig in entsprechenden Betrieben ausgeführt werden. Die Montage der einzelnen Elemente ging dann relativ zügig vonstatten. Zudem konnte die Qualität der industriell gefertigten Bauteile vor dem Zusammenbau geprüft werden. Eine umfassende Standardisierung der vorgefertigten Bauelemente war günstig für deren massenhafte Produktion, ließ aber keine individuellen Gestaltungsmöglichkeiten zu. Der für die Plattenbauweise notwendige Beton (bestehend aus Wasser, Zement, Gesteinskörnungen und ggf. Fasern) ist zwar ein nachhaltiges Baumaterial, erforderte jedoch einen hohen Energieaufwand bei der Herstellung. Weil deshalb neben Stein- und Braunkohle praktisch alles verbrannt wurde, was man nicht mehr brauchte (alte Reifen, Plastikmüll und Altöl), war der CO2-Ausstoß enorm hoch. Die DDR nahm für ihr Wohnungsbauprogramm eine hohe Umweltbelastung in Kauf.
Die Plattenbauweise wurde außer im gesamten Ostblock auch in Schweden, Finnland und dem Libanon verwendet.
Ausschnitt aus einer typischen DDR-Wandzeitung „Gute Arbeit lohnt sich“, die häufig in Schulen und Berufsschulen hingen. o.J., DDR.
Quelle: © DDR Museum
In der DDR wurde das Leben im Plattenbau als Fortschritt und Wohlstand (warmes Wasser aus der Wand und Fernheizung) gepriesen. Das änderte sich nach Maueröffnung und Wiedervereinigung schnell. Die großen Neubausiedlungen wurden – vorwiegend von westdeutschen Kritikern – als „abstrakt, trist und seelenlos“ betitelt. Und in der Tat lebten dort plötzlich viele Menschen, die durch die wirtschaftlichen Veränderungen ihre Arbeit verloren hatten.
Das Baufachgewerbe wurde durch die Überführung der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft stark konjunkturabhängig. Im Zuge dessen gingen auch die Ausbildungszahlen von ca. 60.000 Azubis 2001 innerhalb von fünf Jahren auf ca. 41.000 zurück.
Die DDR arbeitete mit Hochdruck an ihrem ehrgeizigen Wohnungsbauprogramm. Im Plattenwerk des Volkseigenen Betriebs (VEB) Kombinat Wohnungsbau liefen vorgefertigte Elemente für den industriellen Wohnungsbau vom Band. Hier sieht man Fenster- und Türmontage in die vorgefertigten Elemente im Plattenwerk. Gera 1989, DDR.
Quelle: © Bundesstiftung Aufarbeitung / Klaus Mehner
Datsche
In der DDR im Besitz einer Datsche zu sein, war so was wie ein Sechser im Lotto. Datsche leitet sich aus dem russischen „Datscha“ ab und war ein kleines Ferienhaus oder eine größere Laube in einem Kleingarten oder einem privaten Waldgrundstück. Für die DDR-Bevölkerung war es mehr als das. Die Kleingärten waren private Nische und Versorgungsquelle und wurden, mangels Alternativen, für viele Menschen in der Freizeit zum Lebensmittelpunkt. Es wurde angebaut, was im Obst- und Gemüsehandel selten oder nie vorhanden war. Die Lebensmittel wurden zum Verzehr und Verkauf genutzt oder zum Tausch gegen bspw. Baustoffe angeboten, die als Mangelware galten. Die waren dann dem Nachbarn eben vom „LKW gefallen“. Ohne diese krummen Geschäfte wäre das Bauen einer Datsche meist gar nicht möglich gewesen.
Das geliebte Eigenheim in klein: die Datsche. Ein russisches Wort für ein kleines Gartenhäuschen, oft mit „entwendeten“ Baustoffen von Baustellen aus der ganzen Republik gebaut. Baumaterial war auf dem Schwarzmarkt der DDR sehr begehrt.
Quelle: © IMAGO / Serienlicht
Pfusch am Bau
Eine große Problematik bei der Geschwindigkeit, mit der die Wohnblöcke fertiggestellt wurden, war Pfusch am Bau. Die Bauqualität ließ nach, Abnahmen fanden hastig von nicht qualifiziertem Personal statt. Häuser waren fertig, doch die Zugänge und Straßen bestanden aus Hügeln voller Sand oder Schlamm.
So wiesen die Wohnblöcke oft große Mängel auf. Im Jahr 1989 wurden bei Neubauwohnungen des VEB Wohnungsbaukombinat Berlin beispielsweise nach einem Jahr bereits Schimmelbildung festgestellt. Auf 5800 von diesem Betrieb fertiggestellte Wohnungen entfielen 2700 Mängelanzeigen.
Die Häuser sind fertig, doch die Zugänge und Straßen nicht! Also findet der Einzug in die neue Wohnung mit dem Traktor statt. Wohnungsbau 1980er Jahre, DDR.
Quelle: © Bundesstiftung Aufarbeitung / Peter Leske
Mode im Sozialismus