Eine Folge der Industrialisierung in der Landwirtschaft der DDR (s. Punkt 3) war die Aufspaltung der traditionellen Tätigkeiten eines Bauern in verschiedene, für die einzelnen Bereiche der Landwirtschaft spezialisierten Berufe. Facharbeiter für Agrotechnik war nur einer von sieben Grundberufen in der landwirtschaftlichen Produktion. Insgesamt konnte man fast 30 Berufe in dieser Branche erlernen. Dazu zählte bspw. auch der Imker, der Schäfer oder der Zootechniker. Ein Agrotechniker pflegte, wartete und bediente die Maschinen, die für Aussaat und Ernte von Getreide, Gemüse und Futtermitteln auf dem Feld gebraucht wurden. Dreischichtsystem und Sonderschichten bei Ernteeinsätzen waren normal. Dreck, Lärm, Stress wechselten sich ab mit den Eindrücken schöner Sonnenaufgänge und blühender Pflanzen. Man war beteiligt an einem komplexen Kreislauf, der die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln absicherte.
„Wir sind nach Hause gekommen, haben uns umgezogen und dann ging es raus, mit Autoanhänger, leeren Säcken und Körben. Jeder hat seine Reihe gekriegt, die Kinder und wir, und dann ist man durchgegangen. Man musste die Gurken suchen, die Blätter hochheben, da waren die kleinen bestbezahlten Gurken. Und weil die Blätter stacheln, hatten wir Gummihandschuhe an.“
Thea Heyer, ehemalige LPG-Sekretärin über den privaten Anbau und Verkauf von Gemüse
Den Beruf des Agrotechnikers konnten Jungen und Mädchen mit Interesse an Technik und Natur erlernen. Voraussetzung war der erfolgreiche Abschluss der achten Klasse, ein guter allgemeiner Gesundheitszustand, normales Hör- und Sehvermögen, gesunde Gliedmaßen und keine Allergien gegen chemische Stoffe und Pflanzen. Weitere mentale Eigenschaften wie Ausdauer, Geschicklichkeit, gutes Reaktions- und Beobachtungsvermögen waren ebenfalls gewünscht.
Bei Boitzenburg wird ein abgeerntetes Feld geeggt und für die neue Saat vorbereitet, 1982, DDR.
Quelle: © Roger Melis Nachlass
Der Facharbeiter für Agrotechnik wurde für das Vorbereiten, Bedienen, Warten und Pflegen der Maschinen und Geräte für die Bodenbearbeitung und Ernte sowie der dazugehörigen Fahrzeuge wie Traktoren, Mähdrescher und Fördertechnik ausgebildet. Die Technik sollte stets einsatzbereit sein. Man musste also in der Lage sein, kleinere Reparaturen an allen Maschinen selbst durchzuführen. Als Anreiz für den pfleglichen Umgang mit der Technik bekamen die Arbeiter in manchen LPG ein Pflegegeld ausgezahlt, welches gekürzt oder gestrichen werden konnte, wenn keine fachgerechte Pflege und Wartung der Maschinen erfolgten.
Doch das wichtigste Arbeitsfeld war der Boden! Dieser musste fachgerecht bearbeitet, bestellt, gepflegt werden, damit eine hohe Erntequalität und stabile Erträge erreicht werden konnten. Frühling, Sommer, Herbst und Winter bedingten unterschiedliche Anbaukulturen auf dem Acker. Im Frühsommer waren es der Raps oder die Erdbeeren, im Spätsommer das Getreide, im Herbst die Kartoffeln oder Äpfel, denn auch Obstanbau gehörte zur Landwirtschaft. Und noch im Winter konnte der Kohl auf dem Feld geerntet werden. Und natürlich wurde gedüngt. Hier bestanden die Aufgaben aus der Bodenuntersuchung, der Lagerung und dem Transport bis zur Aufbereitung (Zerkleinern, Abwägen, Mischen) und dem Ausbringen von mineralischen und organischen Düngemitteln in fester und flüssiger Form. Für die spezielle Bodenbearbeitung und die Düngung waren insbesondere die sogenannten Agrotechniker / Mechanisatoren und die Agrochemiker zuständig, zwei weitere landwirtschaftliche Ausbildungsberufe, deren Arbeitsfelder sich mit dem des Agrotechnikers teilweise überschnitten, die aber andere Einstellungsvoraussetzungen erforderten.
Wer lieber mit Tieren arbeiten wollte, ließ sich zum Zootechniker / Mechanisator ausbilden oder zum Facharbeiter für Rinder- oder Schweineproduktion.
Generell wurde von allen Mitarbeitenden einer LPG die Mithilfe an der „Organisation des Produktions- und Arbeitsprozesses und am sozialistischen Wettbewerb der Brigade unter konsequenter Einhaltung des Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutzes“ gefordert – ein typischer DDR-Satz aus dem Ausbildungsbuch.
Die kollektiv organisierte Landwirtschaft der DDR sollte die Bevölkerung ausreichend mit Nahrungsgütern versorgen. Die industrielle Tierproduktion der LPG „Einigkeit“ in Niederpöllnitz hielt bei hoher Seuchengefahr 320 Sauen je Stall. Die überzählige Produktion an Schweinefleisch wurde gegen Devisen über den innerdeutschen Handel an den „Klassenfeind“ verkauft. Stall mit niedertragenden Sauen. 1977, Bezirk Gera, DDR.
Quelle: © Bundesstiftung Aufarbeitung / Klaus Mehner
Die Ausbildung in diesem Beruf war umfangreich und dauerte 3 Jahre. Die berufliche Grundlagenausbildung und die darauf aufbauende Spezialausbildung erfolgten in staatlich anerkannten Lehrbetrieben. Dort gab es berufstheoretischen Unterricht nicht nur in Fächern, in denen man die Maschinenelemente und Baugruppen der Landtechnik sowie die technischen Grundlagen der Instandhaltung kennenlernte, sondern auch in Staatsbürgerkunde, Betriebsökonomik und Sport. Außerdem gehörte das Erlangen der Fahrerlaubnis Klasse V dazu, um all die landwirtschaftlichen Fahrzeuge fahren zu können.
Die Praxis in Feldbau, Bodenbearbeitung und im Umgang mit den Maschinen bekam man vor Ort in den LPG durch Ingenieurpädagogen und Lehrmeister vermittelt.
1987 gab es 19.500 Ausbildungsstellen in der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR.
LPG bei Planerfüllung. Für die Genossenschaftsbauern LPG „Dreißigster Jahrestag des Sieges“ hat die „jährliche Ernteschlacht“ (DDR-Jargon für Mahd) begonnen. Auf 7.307 Hektar fährt das Kollektiv mit schwerer Landtechnik die Getreideernte ein. Golzow, Frankfurt/O., DDR, 1987.
Quelle: © Bundesstiftung Aufarbeitung / Klaus Mehner
Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, noch vor Gründung der DDR, wurde auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone eine Bodenreform durchgeführt, die tief in die ländlichen Strukturen eingriff. Unter dem Motto „Junkerland in Bauernhand“ wurden 1945 zunächst einstige Großbauern und Großgrundbesitzer, die mehr als 100 Hektar Land besaßen, sowie Kriegsverbrecher entschädigungslos enteignet und das so freigewordene Land Kleinbauern, Landarbeitern, Geflüchteten und Umsiedlern zugeteilt, das von ihnen bewirtschaftet werden musste. Der Rest der Ländereien ging in neugegründete Staatsbetriebe ein, den sogenannten „Volkseigenen Gütern“.
Mit dem Beschluss der SED auf ihrer 2. Parteikonferenz im Jahr 1952, den Sozialismus „planmäßig“ in allen Bereichen der Gesellschaft aufzubauen, wurde damit begonnen, die Landwirtschaft nach sowjetischem Vorbild umzustrukturieren. Die Enteignung von kleinen und großen Bauernhöfen und bäuerlichen Betrieben und deren Überführung in große Genossenschaften (Kollektivierung nannte man das) mit dem Ziel einer industriell betriebenen Landwirtschaft gehörte zu den Grundideen des Sozialismus. Dazu schlossen sich anfangs noch teilweise freiwillig einzelne Bauern zu Genossenschaften zusammen. Sehr bald wurden die Bauern aber gezwungen, zunächst ihr Ackerland und ihre Tiere, später dann auch ihre Maschinen und Gebäude in die entstehenden Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) einzubringen. Zwar blieben Grund und Boden weiterhin offiziell im Eigentum der Bauern, die LPG hatten aber ein gesetzlich garantiertes umfassendes Nutzungsrecht am Ackerland. Landwirtschaftliche Gebäude, das Inventar und Waldflächen wurden Eigentum der LPG. Ab Mitte der 1970er Jahre erfolgte eine Trennung von Ackerbau und Tierhaltung innerhalb der LPG, so dass sogenannte LPG-Pflanzenproduktion und LPG-Tierproduktion entstanden. 1978 arbeiteten etwa 840.000 Bauern und Arbeiter in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Im Jahr 1989 wurde DDR-weit in 3.844 LPG eine industriell ausgerichtete Landwirtschaft betrieben, gekennzeichnet durch Massentierhaltung und Monokulturen auf den Feldern.
Genau wie in der Industrie wurde zentral beschlossen, was und in welchem Umfang wo produziert werden sollte. Die von der SED geforderte Massenproduktion von Fleisch, Milch und Getreide wurde vom Staat stark subventioniert. Für das Jahr 1978 werden in einer DDR-Publikation Mengen von täglich 6300 t Schlachtvieh, 22 500 l Milch und 13 Millionen Stück Eier, die von den Betrieben der Milch- und Fleischwirtschaft zu Fleisch und Fleischwaren, Konserven, Trink- und Dauermilch, Butter und Käse verarbeitet wurden, genannt.
Genau wie in anderen wirtschaftlichen Bereichen in der DDR mangelte es auch in der Landwirtschaft an Investitionen, die Produktivität war zu gering und die Produktion mit hohen Umweltbelastungen verbunden. Die LPG wirtschafteten als rechtlich selbstständiger Betrieb. Die LPG-Mitglieder erhielten einen leistungsbezogenen Arbeitslohn und am Jahresende eine Gewinnbeteiligung. Bauern, die landwirtschaftliche Flächen eingebracht hatten, erhielten darüber hinaus einen flächenbezogenen Gewinnanteil, die sogenannten Bodenanteile.
Ein Arbeiter in einer LPG verdiente durchschnittlich 1200 Mark im Monat und konnte durch den Verkauf von privat angebauten Lebensmitteln oder gezüchteten Tieren zusätzliche Einkünfte generieren. Der Stundenlohn in der LPG Altenhof bspw. betrug 1988 3,20 M pro Stunde plus Leistungszuschläge während der Erntezeit, z.B. für geerntete Kartoffeln 20 Pfennige pro Tonne.
Bei Wind und Wetter draußen. Kohl schneiden ist Handarbeit und körperlich anstrengend. An der alten Transitstraße von Berlin nach Hamburg schneiden Bäuerinnen der LPG in Nauen Blumenkohl. September 1982, DDR.
Quelle: © Bundesstiftung Aufarbeitung / Harald Schmitt
30 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der DDR war staatliches Eigentum. Teile des enteigneten Landes wurden nach der Wiedervereinigung an die ehemaligen Besitzer zurückgegeben. Die Mehrzahl der LPG wurden bis 1992 in Agrargenossenschaften umgewandelt. Infolge der Umstrukturierungsprozesse von der sozialistischen Planwirtschaft zur freien sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik verloren innerhalb von 10 Jahren mehr als drei Viertel der in der Landwirtschaft Beschäftigten ihren Arbeitsplatz. Lange litten die neuen Bundesländer auch unter der Subventionsabhängigkeit der aus den LPG hervorgegangenen Großbetriebe mit ihrer Struktur für Monoprodukte. Auch dass die ländlichen Gebiete für junge Menschen keine ausreichende Lebensqualität bieten, ist heute ein Problem, denn damit fehlen Arbeitskräfte. Trotzdem hat die Agrarindustrie im Osten in den letzten Jahren einen Aufschwung erfahren.
Handarbeit an der „Kartoffellinie“. Meistens wurden diese Arbeiten an Fließbändern von Frauen gemacht. In der DDR wurden die Kartoffeln in 3kg-Netzen verkauft. LPG Domsühl, 1988, DDR.
Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung / Jürgen Nagel
Umweltverschmutzung
Auch in der DDR wurden zur Minimierung von Schädlingen an Pflanzen und wildwucherndem Unkraut Pflanzenschutzmittel – Pestizide – eingesetzt. Die DDR nahm die zahlreichen Nebenwirkungen zugunsten der Absicherung der Nahrungsmittelherstellung in Kauf. Die Steigerung der Ernteerträge hatte deutlichen Vorrang vorm Umweltschutz.
Zur Insektenbekämpfung wurde z.B. häufig das unter der Bezeichnung Bi58 EC im VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld entwickelte Insektizid mit dem Wirkstoff Dimethoat verwendet, das im Gemisch mit Wasser mit 600 Litern pro Hektar ausgesprüht wurde. Dieses Pestizid ist ein stark schädliches Nervengift sowohl für Bienen und alle anderen Insekten als auch für Säugetiere und damit ebenfalls für Menschen. Es schädigt nachweislich Nieren und Leber und kann bei oraler oder intravenöser Einnahme zum Tod führen. Bi58 darf seit dem 31. Januar 2020 nicht mehr verkauft werden.
Auch in der Industrie fielen viele Schadstoffe an, die in Flüsse, Seen und somit ins Grundwasser gelangten.
Traktor mit Anhänger verteilt Pestizide - Obstanbau in der LPG Borthen, 1974, DDR.
Quelle: © IMAGO / Ulrich Haessler
Ernteeinsätze sind kein DDR-spezifisches Ding. Aber dort war es normal, dass Familienangehörige der LPG-Mitglieder an den Wochenenden in der Erntezeit auf dem Feld geholfen haben. Auch Schulkassen, Jugendbrigaden und Studenten, mitunter sogar Soldaten der in der DDR stationierten sowjetischen Truppen, wurden zu Schuljahres- und Semesterbeginn aus Mangel an Arbeitskräften unterstützend für die Ernte eingesetzt. Diese mehrwöchigen Ernteeinsätze wurden zur Teambildung unter den jugendlichen Studierenden genutzt. Tagsüber wurden Äpfel oder Kartoffeln geerntet, abends saß man am Lagerfeuer oder in der Gemeinschaftsküche der Unterkunft und lernte sich näher kennen. Die Ernteeinsätze wurden für Studenten vergütet.
Draußen sein war für viele Schüler und Schülerinnen spannender als der Unterricht. Jugendliche im Einsatz bei der Kartoffelernte der LPG Dahme, 1982, DDR.
Quelle: © IMAGO / Werner Schulze
Wir wolln Euch mal wat fragen!