Als Facharbeiter für Eisenbahnbetrieb, umgangssprachlich Schaffner genannt, arbeitete man zusammen mit ca. 235.000 Kollegen, von denen natürlich nicht alle Schaffner waren, für den größten Arbeitgeber der DDR: die Deutsche Reichsbahn (DR). Die Aufgaben waren vielfältig. Schaffner wurden nicht nur in den Zügen und der zur Reichsbahn gehörenden Berliner S-Bahn eingesetzt, sondern auch im Güterverkehr und in den Stellwerken. Der Dienst in den Fernzügen brachte es mit sich, dass man oft lange unterwegs und weit weg vom Heimatort war. Der Job war stressig, auch wegen des Schichtsystems. Dazu kam, dass die Züge und deren Interieur oft völlig heruntergekommen waren. Die Schaffner mussten sich die Beschwerden der Fahrgäste anhören, hatten den Geruch der stinkenden Toiletten in der Nase und die Winterjacke an, wenn die Heizung mal wieder nicht lief auf der fünfstündigen Fahrt von Stralsund nach Dresden.
365 Millionen Tonnen Güter sind im Jahr 1986 zu transportieren! Das entspricht etwa 10.000 beladenen Güterzügen.
Minister für Verkehrswesen Otto Arndt, beim Besuch des Betriebsbahnhofs Berlin-Schöneweide
Zukünftige Schaffner sollten Aufmerksamkeit sowie ein gutes Konzentrationsvermögen mitbringen. Außerdem mussten sie in der Lage sein, außergewöhnliche Situationen richtig einschätzen und angemessen reagieren zu können. Sie brauchten ein gutes Gedächtnis und sollten bereit sein, sich an die häufigen Ortswechsel anzupassen. Hör- und Sehvermögen sowie die Farbtüchtigkeit durften nicht beeinträchtigt sein. Der Anteil der weiblichen Auszubildenden betrug übrigens im Jahr 1980 74,9 %, knapp 10 Jahre später immer noch 62,2%.
Der Schnellzug SVT18.16 war sozusagen der „ICE“ der DDR. Nur wenige Strecken waren gut ausgebaut. Die DDR musste nach dem 2. Weltkrieg knapp 12.000 km Schienen an die Sowjetunion als Kriegsreparationen abgeben.
Quelle: © IMAGO / Jürgen Ritter
Schaffner wurden im Reisezugbegleitdienst, in der Güterzugfertigstellung oder im Stellwerksdienst eingesetzt. Je nach Einsatzgebiet unterschieden sich die Tätigkeiten. Bei der Begleitung der Reisezüge fielen die üblichen Abfertigungsaufgaben an. Es waren unter anderem Auskünfte an Reisende zu geben, Gepäck musste abgefertigt, Fahrscheine verkauft, Fahrtberichte geschrieben sowie das Zugmelde- und das Fahrgeldbuch geführt werden. Fahrkarten konnten in der Zeit, als die DDR existierte, nur mit Bargeld oder mit einem Scheck bezahlt werden. Für die Reparatur von Reisezugwagen musste der Schaffner Schadlisten ausfüllen. Auch Heizung, Beleuchtung und Klimaanlage in den Reisezugwagen wurden durch den Schaffner bedient. Außerdem musste er die Fahrkartendruckmaschinen warten, natürlich Fahrscheine kontrollieren und das Signal für die Abfahrt der Züge am Bahnsteig geben – die Tätigkeiten, die mit dem Schaffnerberuf zuerst in Verbindung gebracht werden.
Jugendliche und Schaffner in einer Zugtür. Sie sind auf dem Weg zu den „Weltfestspielen der Jugend und Studenten“ von 1973 und halten entsprechende Tücher und Fahnen in der Hand, DDR
Quelle: © Deutsche Fotothek / Gerhard Weber
Die Ausbildung zum Facharbeiter für Eisenbahnbetrieb dauerte zwei Jahre. Sie verlängerte sich um ein Jahr, wenn der Berufsabschluss das Abitur beinhalten sollte.Im theoretischen Unterricht wurden die Grundlagen des allgemeinen Eisenbahndienstes, darunter die Organisation der Deutschen Reichsbahn, alles Wichtige über Bahnanlagen und Fahrzeuge, im Schienenverkehr verwendete Signale und die Grundsätze der Betriebsführung vermittelt. Die Auszubildenden wurden mit den Bestimmungen des Verkehrsdienstes im Reise- und Güterverkehr und der Betriebstechnik, zu welcher Zugbildung, Rangierdienst und Reisezugbegleitung gehörten, vertraut gemacht. Verkehrsgeographie, z. B. die Lage wichtiger Bahnhöfe im Netz, und die betriebliche Kommunikation, bspw. die Regeln für den Fernsprech- und Schriftverkehr, waren weitere Unterrichtseinheiten.
Einsatzmöglichkeiten als Facharbeiter für Eisenbahnbetrieb gab es in allen 15 Bezirken der DDR. Auf kleineren Bahnhöfen entfielen auf einen Arbeitsplatz meist mehrere Aufgaben, z.B. Tätigkeiten des Rangier-, Zugmelde-, Stellwerks-, Abfertigungs- und des Güterwagendienstes. Auf mittleren und größeren Bahnhöfen gab es die Möglichkeit, sich auf eine Haupttätigkeit wie Rangierleiter, Zugabfertiger, Zugbegleiter, Block- und Stellwerkswärter, Zugmelder, Aufsicht oder Assistent der Dispatcherleitung zu konzentrieren.
Als bewährter Facharbeiter hatte man die besten Voraussetzungen für eine Qualifizierung zum Fahrdienstleiter, zum Rangiermeister, zur Aufsicht mit höherer Anforderungsstufe, zum Bahnhofsdispatcher sowie zum Leiter von Arbeitskollektiven. Auch ein Fachschulstudium in den Fachrichtungen Technologie des Eisenbahntransports, Ingenieurökonomie des Transportwesens sowie Ingenieurpädagogik (Lehrkraft für den berufspraktischen Unterricht) war möglich. Mit dem Abschluss der Berufsausbildung mit Abitur oder einer anderweitig erworbenen Hochschulreife konnte man ein Hochschulstudium aufnehmen, vorzugsweise in den Fachrichtungen Transporttechnologie oder Ökonomie des Transportwesens. Es bestand auch die Möglichkeit, sich zum Diplomingenieur-Pädagogen (Ausbilder für den berufstheoretischen Unterricht) zu qualifizieren.
Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn auf dem Hauptbahnhof in Dresden, Juli 1983, DDR.
Quelle: IMAGO / Werner Schulze
In der DDR hatte die Deutsche Reichsbahn das Monopol für den Reise- und Güterverkehr und damit eine hervorgehobene wirtschaftliche Stellung. Trotz intensiver Subventionierung durch den Staat war sie jedoch marode. Lokomotiven und Waggons befanden sich in katastrophalem Zustand. Nur 30 % des Schienennetzes waren elektrifiziert. Auf den restlichen Strecken fuhren die Loks noch mit fossiler Kohle. Weichen und Brücken waren teilweise seit 100 Jahren nicht saniert worden. Dabei wurde der Verkehr auf der Schiene gebraucht. Öl als Rohstoff für die Benzinherstellung musste importiert werden und die Autoindustrie konnte die Nachfrage nach Fahrzeugen für den Individualverkehr der Bevölkerung nicht befriedigen. 77% der Güter in der DDR wurden auf Schienen bewegt. Das war gesetzlich geregelt. Ab 50 km Entfernung mussten Güter mit der Bahn transportiert werden, wenn Versender und Empfänger einen Gleisanschluss hatten. Ab 1981 galt diese Vorschrift sogar bereits ab 10 km. Harte internationale Währung verdiente die DDR mit dem Transitgüterverkehr. Der Rangierbahnhof Seddin im Bezirk Potsdam war Drehscheibe für den Transport von Transitgütern. 20 der 21 Grenzbahnhöfe der DDR waren an das Transitnetz der DR angeschlossen. Die per Eisenbahn beförderte Transitgutmenge überschritt bereits 1970 die Fünf-Millionen-Tonnen-Grenze.
Seit 1972 gab es ein Transitabkommen zwischen DDR und BRD.
Auf der Grundlage dieses Abkommens zahlte die BRD bis 1989 über 2 Mrd. DM für die Instandhaltung der Transitwege. Dafür konnten sogenannte Transitzüge mit kurzer Wartezeit und ohne offiziellen Halt in der DDR direkt nach West-Berlin fahren. Manche dieser Züge starteten in Paris und endeten in Moskau. Diese deutsch-deutschen Reisezüge hießen bei der Deutschen Reichsbahn bis 1954, bei der Deutschen Bundesbahn bis in die 1960er Jahre hinein offiziell „Interzonenzüge“. Inoffiziell hielt sich diese Bezeichnung auf beiden Seiten der Grenze bis zum Ende der DDR. Das Personal dieser Züge stellte auf DDR- und Westberliner Gebiet die Deutsche Reichsbahn. Zu Zeiten der Dampflokomotiven war das Lok-Personal sogar bis zum Wechsel der Lokomotive oder dem Ende des Zuglaufs im Dienst, also auch auf Bundesgebiet. Speise-, Liege- und Schlafwagen wurde in Zügen der DR vom Personal der ostdeutschen MITROPA betreut, in Zügen der DB von Mitarbeitern der westlichen Deutschen Schlafwagen- und Speisewagengesellschaft. Ein weiteres Kuriosum: Die Berliner S-Bahn, die sowohl in Ost-Berlin als auch in West-Berlin fuhr, wurde ebenfalls von der Deutschen Reichsbahn betrieben.
Helmstedt war einer der Grenzbahnhöfe, über welche der Transitverkehr zwischen der BRD und West-Berlin abgewickelt wurde. Der Grenzort auf der Ostseite hieß Marienborn. Hier ein Zug der Deutschen Bundesbahn auf dem Gleis.
Quelle: © IMAGO / Rust
Da in der Bundesrepublik viele Menschen ein eigenes Auto besaßen und damit reisten, betrug der Anteil der Personenbeförderung an den Fahrten der Deutschen Bundesbahn (DB) 1980 nur noch 6%. In der DDR hingegen hielt sich ein Marktanteil von 40% bei der Personenbeförderung auf der Schiene und von knapp 77% beim Güterverkehr. Das änderte sich schlagartig ab 1990. Endlich konnten sich die Ostdeutschen – sofern nach der Währungsunion genug Geld auf dem Konto war – ein Auto kaufen. Deutlich weniger Menschen nutzten noch die Züge. 1990 verloren Tausende Reichsbahner ihre Arbeit. Als öffentlich wurde, dass weitere 60.000 Beschäftigte entlassen werden sollten, kam es im November 1990 zu einem Streik bei der Deutschen Reichsbahn (DR). Der gesamte Personen- und Güterverkehr in den neuen Bundesländern wurde für Tage unterbrochen. So etwas hatte es noch nie gegeben!
1994 wurden die DB und die DR auf der Grundlage des deutschen Einheitsvertrages zur Deutschen Bahn AG fusioniert. Beide Betriebe waren zu diesem Zeitpunkt faktisch insolvent. Ein langjähriges Investitionspaket und Ausgleichszahlungen des Bundes in Milliardenhöhe sollten die neue Deutsche Bahn AG retten. Bundesweit wurden mehr als 100.000 Arbeitsplätze gestrichen, weil der Bedarf nicht mehr vorhanden war. Viele Gleisabschnitte wurden stillgelegt oder abgebaut (z. B. weil der an die Gleise angeschlossene Betrieb pleite ging).
Die Züge der Deutschen Reichsbahn wurden in den Besitz der Deutschen Bahn überführt. Hier verschiedene Züge im Dresdner Hauptbahnhof, 1984, DDR.
Quelle: © IMAGO / Werner Schulze
Gefangenentransport im „Grotewohl-Express“
Die Deutsche Reichsbahn baute und betrieb auf Anordnung des Innenministeriums der DDR mehrere spezielle Waggons zum Transport von Häftlingen. Mit dem sogenannten Gefangenensammeltransportwagen (GSTW) wurden Verurteilte in ihre Strafvollzugsanstalten gebracht. Unter den Häftlingen hießen Züge mit diesen Waggons „Grotewohl-Express“. (Otto Grotewohl war von 1949 bis 1964 der erste Ministerpräsident der DDR.) Die Wagen hatten eine Länge von 26,4 Meter und eine Breite von 2,8 Meter. Im Innenraum verfügte der GSTW über 18 Zellen, einen Isolations-Verwahrraum sowie ein WC für Gefangene. Für die Angehörigen des Strafvollzugs waren ein Schreib- und Ablageraum, ein Aufenthaltsraum, ein Wirtschaftsraum, eine Küche, ein Ruheraum sowie ein eigenes WC vorgesehen. Die Fahrten waren aufgrund des Platzmangels und der Luftverhältnisse in den Zellen sehr strapaziös. Die Häftlinge waren häufig mehrere Tage lang unterwegs. Sie waren praktisch orientierungslos, ohne Raum- und Zeitgefühl, da die Fenster aus Milchglas und vergittert waren. Jeweils vier Personen mussten sich eine der ca. 1 Meter langen und 1,34 Meter breiten Zellen teilen. Das Perfideste an diesem GSTW war, dass die Inneneinrichtung von Häftlingen der Strafvollzugsanstalt Brandenburg im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) Potsdam gebaut wurde.
Jeweils vier Menschen haben während der Gefangenensammeltransporte auf nur 1,4 qm häufig mehrere Tage verbringen müssen. Schlechte Luft, kaum Essen, Trinken, Privatsphäre… Einen Originalwaggon kann man heute in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen besichtigen.
Quelle: alamy
Zugunglücke
In der DDR gab es etliche tragische Zugunglücke. Aufgrund diverser Schäden an den Gleisen (bspw. kaputte Weichen) oder menschlichen Versagens (falsche Signale) entgleisten Züge oder stießen zusammen. Ein besonders schweres Unglück ereignete sich am 19. Januar 1988. In Forst Zinna bei Jüterbog stand ein sowjetischer T64-Panzer mit einem Gewicht von fast 40 Tonnen auf den Gleisen. Die jungen Soldaten, die den Panzer fuhren, kamen aus Kasachstan, waren Fahranfänger und verstanden die russischen Kommandos, die über Funk kamen, nur schwer. Sie verpassten deshalb die vorgeschriebene Kurve zum Übungsplatz und landeten auf den Gleisen, würgten den Panzer ab und sprangen voller Panik heraus. Denn in diesem Augenblick, gegen 17.50h, näherte sich ein Personenzug, dessen Lok mit 80 Tonnen ungebremst in den Panzer raste und diesen noch 130 m auf den Schienen vor sich herschob. Die Lok überschlug sich, Waggons entgleisten und wurden dabei aufgerissen. Sechs Menschen starben an diesem Abend und 33 weitere wurden schwer verletzt.
Die Passagiere waren wütend, als sie sahen, dass die „Russen“ an dem Unglück schuld waren. Steine flogen auf sowjetische Soldaten, die aus der Kaserne zum Unfallort kamen. Schwierig war auch das Bergen der Verletzten und Überlebenden, denn es war dunkel und die Feuerwehr hatte kein Licht. Über dieses Zugunglück wurde ungewöhnlicherweise ausführlich in den West-Medien berichtet und die DDR-Behörden übernahmen die Aufklärung. Normalerweise wurde, wenn Sowjetbürger involviert waren, das sowjetische Militärkommando eingeschaltet. Welche Strafe die beiden 19jährigen Fahrer für diesen Unfall erhielten, blieb ungeklärt. Sie wurden innerhalb von 48 Stunden in die Sowjetunion gebracht, dort verlor sich ihre Spur.
Der Tag danach. Uniformierter steht auf der zertrümmerten Lok, um sich einen Überblick zu verschaffen. DDR, Januar 1988
Quelle: © Stasi-Unterlagen-Archiv
#3 Knut: Bleierne Zeit